Paradies

 

Der Sündenfallbericht

Die literarische Gattung des Sündenfallberichtes

Mythische Bilder liefern den Stoff für diese Erzählung

Die Schlange - das Bild für das Böse

Das Bild vom Baum

Die Frau und die Schlange

Exegetische Erklärungen zum Text

Die Erschaffung des Menschen

Das Paradies

Das Sündenfalldrama

Die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.

Woher kommt das Böse? -Vom Sinn der Geschichte

Eine schwere Frage und viele Antworten

Der Ursprung: Urstand und Paradies

Ursünde und Erbsünde der Menschheit

 

Die Herrschaft des Menschen ist nicht nur ein Können, sie ist ein Sollen. Gottes Auftrag an uns lautet: "Seid fruchtbar und mehret euch!

Erfüllet die Erde und macht sie euch untertan!'' Herrschet über die Fische, die Vögel, über alle Lebewesen! "Seht, ich übergebe euch" alle Pflanzen und Bäume, sie sollen euch zur Nahrung dienen. Es ist unser Auftrag, Gottes Werk fortzusetzen, die Ordnung in der Natur aufzuspüren und in Technik und Wirtschaft uns dienstbar zu machen. Das also ist der Mensch: zum Herrschen berufen im Gehorsam gegen Gott.

 

"Als Gott alles sah, was er gemacht hatte, fand er es sehr gut" (Gen 1, 31). Ist das auch unser Urteil, wenn wir heute die Welt, die Völker, die Kriege betrachten? Von Krankheiten, Naturkatastrophen, Überschwemmungen und Erdbeben ganz zu schweigen! - "Gott fand es sehr gut." Klingt das nicht wie ein Hohn?

 

In der gleichen Welt der Kriege, der Krankheit, des Hungers und der Bedrückung lebte das israelitische Volk. Es war der Spielball der Großmächte am Nil, am Euphrat und Tigris. Wie jeder Mensch unter dem Leid und der Not sich aufbäumt, so auch Israel. Es fragt: "Warum das alles? Warum Leid und Not und Tod? Woher kommt das Böse, die Ungerechtigkeit, die Grausamkeit?"  Aus seinem religiösen Wissen, aus seiner festen Überzeugung heraus hatte der Verfasser des Schöpfungsberichtes geschrieben: "Die Welt ist gut, ja sehr gut" aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen. Wie kommt dann das Unheil in die Welt? Auf diese Frage will der Sündenfallbericht eine Antwort geben.

 

Der Sündenfallbericht

Woher kommt das Unheil? Die bibl. Schriftsteller sahen: Zu jeder Zeit sündigen die Menschen. Sie lehnen sich auf gegen Gottes Gebot. Sie wollen immer mehr vom Leben, mehr Freude, mehr Lust.  In dieser Gier setzen sie sich hinweg über die Ordnung in der Natur, über die menschliche Ordnung.  Sie halten sich selber für das Maß aller Dinge.

 

Die Verfasser der Genesis schließen nun: In allen Menschen ist von Anfang an die Auflehnung gegen Gott in der Sünde. Pflanzen und Tiere folgen notwendig den Gesetzen ihrer Natur. Die Unordnung kann nur dort in die Schöpfung eingebrochen sein, wo ein Wesen die Möglichkeit hat,  sich gegen die Ordnung zu stellen. Dies ist und geschied in der personalen Freiheit des Menschen. 

Nur der Mensch konnte in einer freien Entscheidung sich gegen Gott stellen und durch diese Tat sein Unheil schaffen und das Böse in die Schöpfung einlassen. Zu dieser Erkenntnis sind also die biblischen Verfasser nicht nur durch Erleuchtung Gottes, durch Offenbarung, gekommen, sondern auch durch ihr Nachdenken.

 

Die literarische Gattung des Sündenfallberichtes

Die biblischen Verfasser des Sündenfallberichtes machen die große theologische Aussage: "Das Böse in der Welt kommt aus der Freiheit des Menschen. Dämonische Mächte haben ihn dazu verführt" (Offb. 12,9; 2 Petr. 2,4; jud. 6). Stellen Sie sich vor, ein Lehrer würde so zu Schülern sprechen! In diesen beiden Sätzen ist zwar eine tiefe Wahrheit enthalten, aber die Aussageweise ist steif und unanschaulich.

Die biblischen Verfasser - selber Israeliten - kannten die Menschen, für die sie schrieben, und so kleiden sie ihre Aussage in eine Geschichte, ein Drama. Was wir im Sündenfallbericht lesen, will kein Protokoll über den" Sündenfall" sein. Es ist nicht wirklich so geschehen, wie es dargestellt wird. Es wird hier eine theologische Aussage in eine Geschichte eingekleidet. Es ist also müßig zu fragen, wie es möglich war, dass die Schlange reden konnte. Ebenso vergeblich ist es zu fragen, was für eine Frucht es war, die Adam und Eva aßen und so sündigten.

Der Sündenfallbericht gehört ebenso wie der Schöpfungsbericht in die literarische Gattung der epischen Geschichte oder der Volksüberlieferung.

 

Ein kurzer Überblick über die Erzählung des biblischen Verfassers: Gott der Herr bildet den Menschen aus dem Staub der Erde und haucht ihm den Odem des Lebens ins Angesicht. Gott bringt den Menschen in einen Wonnegarten, in dessen Mitte der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens stehen. Der Mensch erhält das Gebot: "Vom Baum der Erkenntnis darfst du nicht essen, sonst musst du sterben!" Der Mensch ist einsam. Gott schafft aus der Rippe des Menschen Eva, seine Gehilfin. Die Schlange versteckt sich auf dem Baum der Erkenntnis und verführt Eva zum Essen der Früchte. Ihr Versprechen ist: ihr werdet sein wie Gott. Eva isst, sie gibt auch ihrem Manne zu essen. Adam und Eva erkennen, dass sie nackt sind. Es folgt das Verhör, der Urteilsspruch über Schlange, Frau und Mann und die Vertreibung aus dem Paradies.

 

Mythische Bilder liefern den Stoff für diese Erzählung

Wie kommt nun der Verfasser dazu, den Sündenfall, das Nein des Menschen gegen Gott, gerade in diese Erzählung einzukleiden? Warum erfindet er nicht eine andere? Weshalb spielen in der Sündenfallerzählung die Schlange, der Baum, der Garten eine besondere Rolle? Auf diese Fragen kann die Antwort nur lauten: Der biblische Verfasser verwendet alte mythische Bilder der heidnischen Nachbarreligionen, um in diesen Bildern seine theologischen Aussagen zu machen.

Der Verfasser schreibt aber nicht einfach ab. Er übernimmt nicht einfach Mythen aus Babylonien und Phönizien in ihrer Gesamtheit dem Bilde und dem Inhalt nach. Er "entmythologisiert" bereits, d. h. er übernimmt nur das Bild, die Schale, und gießt in sie einen neuen theologischen Inhalt. Oft übernimmt er das Bild nur deshalb, um zu zeigen, dass seine Aussagen ganz anders sind.

 

Das alte babylonische Epos "Enuma Elisch" hat zweifellos den biblischen Verfasser beeinflusst.

Welche Antwort gibt dieses Epos auf die Frage nach der Herkunft des Bösen? Ein Gott hat Unrecht getan und damit Unheil und Fluch über das ganze Göttergeschlecht gebracht. Von diesem Fluch wollen die Götter sich befreien; aber wie? Sie binden den Übeltäter und töten ihn.

Aus seinem Blut und aus dem Lehm der Erde kneten sie einen Menschen. Mit dem sündigen Blut des Übeltäters geht die Schuld, das Böse, auf die Menschen über.

Was ist mit dieser Geschichte gesagt? Woher kommt das Böse in der Welt? Der babylonische Mythos gibt die eindeutige Antwort: Das Böse kommt von den Göttern. Das Gute und das Böse sind dem Menschen bereits eingeschaffen.

 

Dagegen wendet sich der biblische Verfasser. Er übernimmt das Bild des babylonischen Mythos.

Auch er lässt Gott den Menschen kneten. Aber er macht genau die entgegengesetzte Aussage: Der Mensch ist gut! Gott hat den Menschen gut geschaffen. Er hat ihn geschaffen aus dem guten, fruchtbaren Ackerboden, der Adamah. Kein sündiges Götterblut rinnt in den Adern der ersten Menschen, Gott hat das Böse nicht in sie hineingelegt. Das Böse kommt erst später hinzu. Der biblische Verfasser lehnt also die Antwort des babylonischen Mythos ab, obwohl er seine Darstellungsweise übernimmt.

 

Das Böse kommt vom Menschen. Er lässt sich von außen zum Bösen verführen. Wer war nun diese böse Macht, die den Menschen verführt?

Wie soll der Verfasser das darstellen? In seiner Umwelt findet er ein Bild, das das Böse, den Fluch für ihn verkörpert: die Schlange.

 

Die Schlange - das Bild für das Böse

Israel hatte das Land Kanaan erobert und war dort sesshaft geworden. Die Trennung  zwischen der Urbevölkerung Kanaans und dem Gottesvolk blieb. Die Bewohner Kanaans waren Helden mit prächtigem Götterkult, der seinen Eindruck auf das israelitische Volk nicht verfehlte. Die Schlange war für die Kanaaniter ein "Göttertier", ein heiliges Tier, das hochaufgerichtet dargestellt wurde und Leben und Fruchtbarkeit verlieh.

 

Die Schlange stand für das Heidentum und seine Kultgebräuche. Immer wieder war Israel versucht, zu diesem Götzenkult abzufallen. Hinter der Schlange als Zeichen der heidnischen Religion Kanaans, steht die dämonische Macht des Bösen.

Israel hat es in seiner Geschichte erfahren: immer, wenn es sich dem Götzenkult zuwendet, bricht Unheil und Not über das Volk herein.

Diese Erfahrung wird zurückverlegt bis ins Paradies. Auch dort haben die Menschen sich abgewandt von Gott und sich verführen lassen von dem Bösen. Dieses Böse trat, genau wie an den Israeliten in Kanaan, in Gestalt der Schlange an sie heran. Zugleich war dieses Bild von der Schlange eine Mahnung an das Volk: Wer sich dem Götzenkult, wer sich der Schlange zuwendet, verfällt dem Verderben, so wie unsere Stammeltern im Paradies.

 

Das Bild vom Baum

Wir Menschen wollen etwas vom Leben haben: Macht, Geld, Bequemlichkeit. Wissen ist Macht, sagt ein altes Sprichwort. Das Menschenherz ist immer das gleiche mit seinen Wünschen und Sehnsüchten. Schon immer verlangten die Menschen nach Lebenssteigerung, nach Machtsteigerung.

Im Orient ist der Baum das Sinnbild des Lebens und der Fruchtbarkeit. Wo im Orient ein Baum wächst, da ist Wasser, da ist Schatten, da kann Leben gedeihen. Der Mensch tritt also an einen Baum heran. Er stiehlt vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Erkenntnis aller Dinge ist Machtsteigerung, ist Lebenssteigerung. Aus eigener Kraft will er sie erreichen. Der Mensch will Gott gleichen. Er will wie Gott aus eigener Kraft, aus eigener Lebensfülle herrschen. Die Sünde des Menschen besteht darin, dass er Gott beiseite schiebt: Ich brauche dich nicht, ich kann mein Leben allein gestalten, ich kann allein mein Glück sichern und finden. Die Frucht vom Baum der Erkenntnis soll ihm diese Macht sichern. So hat es ihm die Schlange versprochen.

 

Die Frau und die Schlange

Ein weiterer Einzelzug im Sündenfallbericht ist zu erklären. Warum lässt der Verfasser gerade die Frau und nicht den Mann von der Schlange versucht werden? Ist das nur Zufall, oder steckt dahinter eine Absicht? Die Frau ist der religiöse Punkt der Familie. So waren die israelitischen Frauen mehr als ihre Männer in Gefahr, dem kanaanäischen Schlangenkult zu verfallen. Deshalb die Warnung des Verfassers an die Frauen: "Nehmt euch in acht vor der Schlange! Schon im Paradies war es die Frau, die sich verführen ließ!"

 

Exegetische Erklärungen zum Text

 

Die Erschaffung des Menschen

Aus der Art und Weise, wie Gott den Menschen schafft, geht hervor, was der Mensch seinem Wesen nach ist. Gott formt ihn aus Lehm und bläst ihm den Atem des Lebens in die Nasenlöcher (Gen 2,7). Damit sind die beiden Elemente genannt, die zum Menschen gehören: das irdische Prinzip, das der stofflichen Welt zugehört, und das höhere Prinzip, das von Gott kommt, der Geist.

 

Der Mensch ist Geschöpf Gottes, d. h. er verdankt Gott Sein und Leben. Dieses Leben ist ein äußerst zerbrechlicher und unsicherer Besitz.

Mensch und Tier haben hierin das gleiche Los. Die Würde des Menschen gegenüber dem Tier ergibt sich daraus, dass der Mensch seinen Lebens - Odem persönlich und unmittelbar von Gott empfangen hat. Der Mensch steht deshalb Gott als Person gegenüber.

 

Der Mensch ist aus Staub geformt. Das will sagen: So unbedeutend wie der Staub ist auch der Mensch. Wie der Wind den Staub von der Erde fegt, so ergeht es auch dem Menschen. Er wird vom Tod weggefegt. Er ist sterblich. Der Mensch wurde von Gott geformt. Wie der Tonkrug in seiner Gestalt, seiner Form vom Töpfer abhängt, so ist der Mensch ganz von seinem Schöpfer abhängig.

 

Es ist klar; dass der Verfasser keine Aussage über die naturwissenschaftliche Frage des "Wie" der Entstehung des Menschen geben will. Er gräbt tiefer. Er sagt uns etwas über das Wesen des Menschen.

 

Das Paradies

Die beiden Worte "gan" = Garten und "Eden" = Steppe, Wüste oder auch Wonne, sind hebräische Lehnworte aus dem Sumerischen. Damit ist schon angedeutet, dass die Paradiesesvorstellung nicht zum eigenständigen Gedankengut der Hebräer gehörte, sondern aus dem Zweiströmeland übernommen wurde.

 

Nach dem Bericht wachsen im Garten "allerlei Bäume". Zwei sind besonders gekennzeichnet: der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis.

 

Ein babylonischer Mythos sagt: Irgendwo wächst ein Baum oder ein Kraut. Wer von seinen Früchten isst, braucht nicht zu sterben. Dieser Baum steht irgendwo in unerreichbarer Ferne. Für unseren Verfasser steht er im Paradies, ist er den Menschen zugänglich. Der Baum ist das Symbol für Leben,- die Wurzeln des Lebens. In diesem Bild "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse"  versteht und erhofft sich der Mensch das Recht, selbstherrlich zu bestimmen und zu entscheiden,  was gut und böse ist. Indem er dies zu erreichen sucht, übersteigt er seine Geschöpflichkeit und macht sich selbst zum Schöpfer.

 

Das Sündenfalldrama

Die Erzählung von der Versuchung des Menschen durch die Schlange ist ein psychologisches Meisterwerk. Die Schlange stellt sich dumm. Sie lässt sich von der Frau belehren: "Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?" Die Schlange übertreibt maßlos  und reizt so die Frau zum Widerspruch. "Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir essen. Nur bezüglich der Früchte des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott befohlen: Davon dürft ihr nicht essen! ja, ihr dürft sie nicht einmal anrühren, sonst müsst ihr sterben!" In dieser Antwort Evas schwingt bereits ein leiser Zweifel an Gottes Güte mit und man spürt die  Zweifel an Gottes Glaubwürdigkeit.

 

Nun folgt die Verführung: "Keineswegs werdet ihr sterben!" Esst nur von den Früchten dieses Baumes! Gott gönnt euch das Glück nicht! Er will euch klein halten. Gott weiß: "Sobald ihr davon esset, werdet ihr wie Gott sein, indem ihr erkennt, was gut und böse ist!" Die Schlange hat das Gottesbild im Menschen entstellt: Es ist ein armseliger Gott, dessen Stellung bedroht ist durch den Menschen. Von diesem Gott wollen die Menschen nicht mehr abhängig sein, sie nehmen ihr Geschick in die eigenen Hände. Nun ist es bis zur Sündentat nur noch ein Schritt.

 

"Erkennen von gut und böse" soll heißen: Der Mensch will selber bestimmen, was gut und böse ist.

Damit setzt er sich an die Stelle Gottes. Das Schlangengift wirkt in der Seele Evas: Gott wird zu einem neidischen Wesen. Zugleich werden die Früchte am verbotenen Baum um so begehrenswerter. Sie sind auf einmal köstlich, lieblich, begehrenswert". Der Schwebezustand in  Evas Seele ist beendet. Es folgt die Tat. Die einzelnen Schritte sind psychologisch fein herausgearbeitet: Sie sah, nahm, aß und gab.

Sie gab. - Eva möchte in ihrer Tat nicht allein sein. Sie gibt deshalb auch Adam von der Frucht. Auch er aß. Eva, die ihm Gehilfin sein sollte, wird zur Verführerin. Der Zerfall von Gott und Mensch ist vollzogen. Die Katastrophe ist eingetreten! Der Mensch ist aus der Gemeinschaft Gottes herausgefallen. Er verbirgt sich vor Gott. Aber Gott zieht sie zur Rechenschaft.

Die ersten Menschen erkennen, dass sie nackt sind. Das ist ein Bild. Es will nicht etwas über die jetzige körperliche oder geschlechtliche Verfassung des Menschen aussagen. Diesem Bilde liegt ein Wortspiel zugrunde. Die Schlange hatte versprochen. Ihr werdet "arum" = klug, wissend, mächtig werden (Gen 3,5). Nach dem Fall erkennen Adam und Eva, dass sie "arom" = nackt, arm, unwissend, ohnmächtig geworden sind (Gen 3, 10). "Nackt" will die Hilflosigkeit und Ohnmacht des Sünders ausmalen, der ungeschützt allen unheilvollen Mächten ausgesetzt ist. Die Sünde kann dem Menschen nie ein Gut schenken (arum) – sie macht ihn immer elend (arom) und stößt ihn ins Verderben. Die Sünde  entzweit mit Gott. Die Sünde entzweit aber auch die Menschen untereinander. Der Mann beschuldigt die Frau, die Frau wälzt die Schuld auf die Schlange ab, die sie mit ihrer faszinierenden Einflusskraft betört hat. Der Zauber der Natur wird beschuldigt und damit Gott selbst (Gen  3,12-13). Der Sünde entsprechend ist nun auch die Strafe. Die Schlange als Symbol der Fruchtbarkeitskulte, die im alten Orient als aufrechtgehend dargestellt wurde, muss in Zukunft als Strafe auf dem Bauche kriechen und Staub fressen. Der ganze Glanz ihrer dämonischen Macht ist dahin (Gen 3,14-15).

 

Die Frau wird vom Manne her bestraft. Sie verlangt nach dem Mann und nach wahrer Liebe. Sie wird aber von ihm missbraucht, versklavt, durch seine Triebe zur Sache herabgewürdigt. Die Strafe trifft die Frau auch in ihrem Beruf als Mutter: Beschwerden bei der Mutterschaft und Schmerzen bei der Geburt (Gen 3,16).

Der Mann wird von der Erde her bestraft. Deshalb wird die Erde verflucht um seinetwillen. Alles, was er tut in seiner Aufgabe, die Welt zu beherrschen, wird ihm statt reiner Freude zugleich Leid,  Qual und Schmerz bereiten. Die Kräfte der Natur stellen sich gegen den Mann.

Alles, was er mit Mühe und Not aufgebaut hat, wird ihm bald unter den Händen zerbröckeln. Am Ende seines mühevollen Lebens steht der Tod (Gen 3,17-19).

 

Die schwerwiegendste Strafe aber besteht in der Vertreibung aus dem Paradies. Stellt das Paradies die innige Lebensgemeinschaft des Menschen mit Gott dar, so bedeutet die Vertreibung aus dem Paradies den Verlust dieser Gemeinschaft mit Gott.

 

Wir haben den "Bericht" von Schöpfung und Sündenfall als Einkleidung theologischer Wahrheiten in ein geschichtliches Gewand erkannt.

 

Es geht vor allem um drei große Themenreihen: den Hervorgang alles Geschaffenen aus der Hand Gottes, den Ursprung des Bösen in der Welt aus der Freiheit des Menschen und schließlich um die Frage: "Was ist der Mensch?" Der Mensch, der nach dem Bilde Gottes gestaltet ist, spricht schon im Anfang seiner Existenz das Nein zum Willen Gottes und zerstört damit die Harmonie der Schöpfung. Gott straft den Menschen, er zieht sich von ihm zurück, aber nicht für immer. Er überlässt den Menschen nicht sich selber, seiner quälenden, brennenden Einsamkeit. Im "Protoevangelium" der "Ersten Frohbotschaft" (Gen 3,15) verheißt er den verstoßenen Menschen einen Erlöser. Damit ist der künftigen Geschichte die Richtung gewiesen: sie ist Heilsgeschichte.

Gott führt sein Volk dem Heil entgegen, das in Christus Jesus für uns anbricht. „Sein Volk“ meint hier die Menschen, die in den Ordnungen der Natur, besonders in der Stimme Ihres Gewissens Gott erkennen, es meint die Menschen, die das Wort das in Jesus Christus Mensch wurde annehmen und es leben.

 

Die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.

Sie ist in Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes, in einmaliger Weise verwirklicht.  Durch seinen Geist werden wir als Kinder Gottes angenommen (vgl. Röm. 8,14-17; Gal. 4,4-6).  Dadurch, dass wir durch Christus Anteil erhalten an der göttlichen Natur (vgl. 1 Petr. 1,4), schenkt Gott uns unendlich viel mehr, "als wir erbitten oder uns ausdenken können" (Eph. 3,20). Dabei ist,  was wir jetzt schon erhalten, nur das Angeld und der Vorgeschmack (vgl. 2 Kor. 1,22; 1Eph 1,13-14), es findet seine Vollendung erst, wenn wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht 421 (vgl. 1 Kor. 13,12). Denn "das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen  und Jesus  Christus, den du gesandt hast" (Joh. 17,3).

 

Die Theologie hat später unterschieden zwischen der schöpfungsgemäßen natürlichen und der gnadenhaft geschenkten übernatürlichen Gottebenbildlichkeit des Menschen. Sie hat diese Unterscheidung ursprünglich mit dem Unterschied der Begriffe "Bild und Gleichnis- (vgl. Gen 1,26.28) begründet. Auch wenn diese Schriftauslegung vom heutigen Schriftverständnis her nicht haltbar ist, so entspricht sie doch voll der Gesamtperspektive der Heiligen Schrift. Denn für die Schrift ist die Schöpfung nur der Anfang und die Grundlage, die durch die Heilsgeschichte nicht aufgehoben, wohl aber überboten wird. Wenn die Theologie dabei vom übernatürlichen Charakter  der Heilsordnung spricht, dann deshalb, weil wir aufgrund der Schöpfungsmäßigen Verwiesenheit auf Gott dieses Heil, die Gemeinschaft mit Gott, zwar - bewusst oder unbewusst ersehnen und erhoffen, aber aus den Kräften unserer Natur nicht erreichen können. Eine personale Lebensgemeinschaft mit Gott kann uns nur von Gott aus reiner Gnade, d. h. ohne jedes Verdienst, frei und ungeschuldet, über unsere Natur hinaus geschenkt werden. Doch gerade als Geschenk ist es die alles überbietende Erfüllung des Menschen. Das Verhältnis von Natur und Gnade ist also nicht etwa nach Art von zwei aufeinandergesetzten Stockwerken oder zwei Ordnungen zu denken, die nichts miteinander zu tun haben. In beiden geht es um die Verwirklichung des einen Heilsplans in Jesus Christus.

 

Die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Gottebenbildlichkeit ­ begründet einen Unterschied zur reformatorischen Lehre. Diese bezieht 133; im allgemeinen den Begriff der Gottebenbildlichkeit nur auf die gnadenhafte 238-239; Gemeinschaft mit Gott, aber nicht auf die mit der Natur des Menschen gegebene Bestimmung zur Partnerschaft mit Gott. Das hat Folgen für das Verständnis der Sünde als Abbruch und Verlust der gnadenhaften Gemeinschaft mit Gott wie für die Frage der menschlichen Mitwirkung bei der Rechtfertigung und Heiligung des Sünders. Ein Ansatz zur Überwindung dieses Unterschieds ist heute darin gegeben, dass die natürliche Gottebenbildlichkeit deutlicher als Bestimmung von Jesus Christus her und auf ihn und die gnadenhafte Teilnahme an seiner Wirklichkeit hin verstanden wird. Die Zusammengehörigkeit von Natur und Gnade kommt in dem berühmten scholastischen Grundsatz zum Ausdruck: Die in Jesus Christus geschenkte Gnade setzt die Natur voraus und bringt sie zur Erfüllung. Die Gnade setzt ja einen Adressaten voraus, der frei ist, zur Gnade ja oder nein zu sagen; insofern setzt die Gnade eine relativ in sich stehende Natur, besser: die menschliche Person und ihre Freiheit, voraus.

Sie setzt diese Person aber als "etwas" voraus, das offen ist und dynamisch über sich selbst hinausweist und allein in Gott seine Erfüllung findet.

 So erschließt uns Jesus Christus, warum der Mensch das Wesen ist, das sich um ein Unendliches überschreitet (B. Pascal), das immer wieder neu unterwegs ist, das nirgends stehen bleiben kann, dem sich vielmehr immer wieder neue Horizonte erschließen, das an nichts in der Welt endgültig sein Genügen finden kann, das vielmehr rast- und ruhelos ist. Er lehrt uns den Menschen verstehen als ein Wesen der unendlichen Hoffnung und Sehnsucht, aber auch der bodenlosen Angst, sich zu verfehlen. Der Mensch, schwankend zwischen Hoffnung und Angst, das ist die Signatur des Menschen nicht nur heute, sondern im Grunde zu allen Zeiten. "Denn geschaffen hast Du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe hat in Dir" (Augustinus).

 

Woher kommt das Böse? -Vom Sinn der Geschichte

 

Eine schwere Frage und viele Antworten

 

Alles bisher über die Größe und Schönheit der Schöpfung und über die Berufung des Menschen Gesagte scheint unrealistisch und naiv optimistisch zu sein. Wie soll man denn angesichts der Hölle von Auschwitz, von Hiroshima, um nur ein paar Orte des Grauens in unserem Jahrhundert zu nennen - den Gott loben, "der alles so herrlich regieret" (Gotteslob 258)? Schon die Psalmen kennen die Erfahrung, dass es den Bösen gut, den Gerechten aber schlecht geht (vgl. Ps 73,3-12). Die Frage "Warum muss der Gerechte leiden?" beschäftigt vor allem das Buch Ijob.

Ijob ist nicht nur der große Dulder, der das oft zitierte Wort spricht: "Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen-, gelobt sei der Name des Herrn" (Ijob 1,21) Ijob kämpft und streitet mit Gott. Er bäumt ich auf und verflucht den Tag seiner Geburt (Ijob 3,2-3). "Zum Ekel ist mein Leben mir geworden" (Ijob 10,1).

Er verwirft die allzu einfachen Antworten, die seine Freunde ihm auf das Problem des ungerechten Leidens geben. Ihm geht Gott als der je größere und als der ganz andere auf, dessen Wege dem Menschen unergründlich sind und dessen Weisheit unerforschlich ist (vgl. Ijob 40,2-4; 42,2-4).

 

Dennoch haben sich die Menschen immer wieder bemüht, Einsicht zu gewinnen in das Auf und Ab der Geschichte. Zwei Grundmodelle der Geschichtsdeutung wurden entwickelt. Das erste Modell: die Geschichte als ein großer Kreislauf. Am Anfang steht die gute alte Zeit das goldene Zeitalter; ihm folgen das silberne, das bronzene und das eiserne Zeitalter. Die Geschichte ist also ein großer Verfallsprozess, aber am äußersten Tiefpunkt ereignet sich ein Umschlag. Am Ende kehrt der Anfang zurück; der Kreis hat sich geschlossen. Das zweite Modell sieht die Geschichte als eine aufsteigende Linie, als Fortschrittsgeschichte auf dem Weg zum Besseren und Höheren.

Die Geschichte ist nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen wie im Kreislaufmodell, sondern das Kommen des Neuen und einer bisher nicht da gewesenen Zukunft. Ansätze zu dieser Sicht finden sich in der Zukunftshoffnung der alttestamentlichen Propheten. In säkularisierter Gestalt begegnet uns diese Sicht im modernen Fortschrittsglauben und in der marxistischen Utopie von einem künftigen Reich der Freiheit in einer klassenlosen, herrschaftsfreien Gesellschaft.

Man wird fragen, ob diese beiden Geschichtsdeutungen der Leidenserfahrung der Menschheit wirklich gerecht werden. Denn, lässt sich das Leiden des Menschen in irgendein allgemeines Schema verrechnen? Wird man mit solchen Deutungen dem Leiden des je einzelnen gerecht?

  

Ihrem Grundanliegen gemäß will uns die Heilige Schrift keine innerweltliche Geschichtsdeutung geben. Die Bibel sagt uns zwar: Alles kommt von Gott, und alles kehrt zu ihm zurück. Aber der Geschichtsverlauf selbst lässt sich in kein Schema pressen weder in ein Verfallsschema noch in ein Fortschrittsschema. Die Geschichte ist, wie Augustinus in seinem "Gottesstaat" gezeigt hat, ein ständiger Kampf  zwischen zwei Reichen: dem Reich Gottes und dem Reich des Bösen (des Satans).

Sie unterscheiden sich durch zweierlei Liebe: Gottesliebe und Selbstliebe. Meist ist beides miteinander vermischt. Deshalb darf man einzelne geschichtliche Ereignisse nicht vorschnell als Zeichen Gottes oder als Ausgeburt des Bösen deuten. Man muss vielmehr wissen, dass Gott ein verborgener Gott ist, der uns allein in Jesus Christus eindeutig erschienen ist. Allein von Jesus Christus her haben wir den Maßstab, um die Geschichte und das Leben zu beurteilen. "Durch Christus und in Christus also wird das Rätsel von Schmerz und Tod hell, das außerhalb seines Evangeliums uns überwältigt". Die volle christliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leidens wird uns deshalb erst später bei der Behandlung des Kreuzes Jesu Christi voll deutlich werden.

 

Der Ursprung: Urstand und Paradies

Die Grundaussage biblischer Geschichtsdeutung lautet: Gott hat die Welt nicht so gewollt und nicht so gemacht, wie sie uns konkret begegnet. Er wollte und will das Leben und nicht den Tod; er verabscheut Unrecht, Gewalt und Lüge. Er will nicht, dass Menschen leiden, er will das Glück des Menschen in der Gemeinschaft mit ihm. Um diesen ursprünglichen Willen und diesen ursprünglichen Plan Gottes auszudrücken, erzählt die Bibel die Geschichte vom Paradies.  

Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte ...Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben." (Gen 18,8.15-17)  

Um diese Erzählung richtig zu verstehen, müssen wir wissen, dass die Heilige Schrift vom geheimnisvollen Wirken Gottes nicht so sehr in begrifflichen Aussagen als in Bildern redet. 

Diese sind aus dem menschlich-diesseitigen Bereich genommen und zum Teil den Mythen der damaligen Zeit entlehnt. Gott spricht ja zu uns in einer menschlichen Sprache, die die jeweiligen Menschen mit ihren Vorstellungen verstehen können. Da es sich um Bildersprache handelt, darf man sie nicht als eine Art historische Reportage über die Anfänge der Menschheitsgeschichte verstehen. Schon gar nicht darf man die - im Vergleich mit den Mythen sehr zurückhaltenden – Bilder zusätzlich phantasievoll ausmalen und sich das Paradies als eine Art Schlaraffenland vorstellen. Auf der anderen Seite kann man die mythologisch geprägte Bildersprache nicht als für uns heute bedeutungslos abtun oder sie rein geistig und rein symbolisch deuten, als ob es in ihnen um keinerlei geschichtliche Wirklichkeit ginge. Es geht ja eben um Aussagen über den geschichtlichen Ursprung des Üblen und Bösen in der Welt. Gesagt werden soll: Gott hat die Welt gut geschaffen. Das Üble und das Böse in der Welt gehen nicht auf Gott zurück, sie sind erst in der Geschichte entstanden. Sie sind nicht Gottes, sondern der Menschen Schuld. So geht es in der Paradiesgeschichte um eine großangelegte Rechtfertigung Gottes (Theodizee) angesichts des konkreten Zustands der Welt.

 

Was die Paradiesgeschichte in Bildern ausdrückt, das hat die kirchliche Glaubensverkündigung in der Lehre vom Urstand begrifflich erläutert. In Aufnahme älterer Formulierungen stellt das Konzil von Trient (1545-1563) fest: Adam, der erste Mensch, hat durch die Übertretung des Gebotes Gottes "die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in die er eingesetzt war", verloren. Mit "Heiligkeit und Gerechtigkeit" meint das Konzil die ursprüngliche Gemeinschaft und Freundschaft des Menschen mit Gott, das auf-du-und-du Sein mit Gott und den vertrauten Umgang mit ihm, von dem die Paradiesgeschichte berichtet Der Kern der Paradieserzählung wie der Urstandslehre ist also keine paläontologische (vorgeschichtliche), sondern eine theologische Aussage: Gott hat den Menschen nicht nur gut, ja sehr gut erschaffen; er hat ihn darüber hinaus teilnehmen lassen an seinem Leben.

( Die gnadenhafte Erfüllung des Menschen hatte nach der Heiligen Schrift wie nach der kirchlichen Lehre Auswirkungen auf das Heilsein des ganzen Menschen. Die ursprüngliche "Heiligkeit und Gerechtigkeit" strahlte sozusagen aus auf die verschiedenen Bereiche des menschlichen Daseins. In der theologischen  Fachsprache spricht man von den außernatürlichen Urstandsgaben als -Folgen der übernatürlichen Urstandsgnade. Dazu gehört, dass der Mensch, nicht in sich gespalten war, Leib und Seele waren ganz integriert. Der Mensch war also frei von dem, was man Begierlichkeit nennt, d. h. frei von der Widerspenstigkeit einzelner Schichten und Antriebskräfte des Menschen gegen die personale Grundausrichtung. Deshalb war der Mensch zweitens auch frei von der Verfinsterung und der Verwirrung seiner geistigen Kräfte Das heißt nicht, dass er mehr Wissen gehabt hätte als wir heute, wohl aber, dass er größere und tiefere Weisheit besaß.

 

( Er konnte alles von Gott her und auf ihn hin verstehen; in ihm nagte noch nicht die Erfahrung der Sinnlosigkeit und der Absurdität des Daseins. Eins mit sich und mit Gott war der Mensch drittens auch eins mit der Welt. Er kannte kein fremd auf ihn eindringendes Leiden. Die Arbeit war nicht die Last und Plage, als die wir sie jetzt oft empfinden.

Der Mensch war schließlich und vor allem frei vom Tod als einer anonym über den Menschen waltenden Macht, gegen die sich der ganze Lebenswille des Menschen aufbäumt und die er als etwas Dunkles und Fremdes, als Ab­bruch und Einschnitt erfährt. Nach dem Apostel Paulus ist der Tod durch die Sünde in die Welt gekommen (vgl. Röm. 5,12). Der Tod ist das drastischste Zeichen dafür, dass der Mensch aufgrund der Sünde von Gott, der Quelle des Lebens, entfremdet ist. Über das Wie eines Lebens ohne Tod sagen uns die Heilige Schrift und die kirchliche Glaubenslehre nichts. Spekulationen dar­ über sind unnütz. Denn ein solches paradiesisches Leben war zwar eine Verheißung, die Gottes ursprünglichen Plan und Willen für den Menschen offenbart. Der Mensch hat jedoch diese Verheißung bereits am Anfang ausgeschlagen und damit seinen Willen durchgesetzt. )

Wozu erzählt die Bibel dies alles? Nicht um unsere historische Neugier zu befriedigen. Die Aussagen über Paradies und Urstand des Menschen sind nicht um ihrer selbst willen wichtig. 

Sie stellen den Hintergrund dar, vor dem wir die gegenwärtige Situation der Menschheit erst richtig begreifen können: als Zustand der Entfremdung, den Gott nicht gewollt und nicht geschaffen hat. 

Woher also das Böse?

 

Ursünde und Erbsünde der Menschheit

"Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod" (Röm. 5,12). Das ist die lapidare Feststellung des Apostels Paulus. Sie fasst zusammen, was auf den ersten Seiten der Bibel in der Erzählung vom Fall des Menschen anschaulich berichtet wird: Der Mensch lässt sich von der Schlange verführen. Gegen Got­tes Gebot greift er nach dem Baum des Lebens und verfällt damit dem Schicksal des Todes.

Bei dieser ersten Sünde geht es nicht um die Bagatelle, dass der Mensch nach einer verbotenen Frucht gegriffen und sie unerlaubterweise gegessen hätte. Auch deutet nichts auf eine sexuelle Verfehlung hin. Es geht um mehr! Es geht nicht um das sechste, sondern um das erste Gebot: Gott allein ist der Herr des Menschen und die Quelle seines Lebens. Der Mensch aber hat seine geschöpfliche Grenze überschritten. Er hat Gott misstraut und wollte selbst nachdem Leben greifen; er wollte es gleichsam selbst in die Hand und in die Regie nehmen, und er hat damit den Tod gewählt. Die Sünde besteht also in der Missachtung Gottes. (vgl. Röm. 5,19). Die Folgen der Entfremdung von Gott sind groß. Der Mensch wird nun seinem Mitmenschen entfremdet; Mann und Frau, die sich ursprünglich in Liebe gegenseitig Hilfe und Stütze sein sollten, werden sich zur Versuchung und zum Verderben.

Der Mensch wird auch sich selbst entfremdet; er schämt sich, weil er nackt und bloß dasteht.

Der Mensch wird dem Leben entfremdet; die Geburt des neuen Lebens geht unter Schmerzen vor sich. Er wird schließlich seiner Umwelt entfremdet; im Schweiß seines Angesichts muss er sein Brot essen (vgl. Gen 3,1-24).

 

Die Bibel erzählt nicht nur diese eine Geschichte vom Sündenfall. Die eine Geschichte löst vielmehr die ganze Lawine der weiteren Geschichte der Sünde aus, in der die soziale Dimension der Sünde zur Geltung kommt. In der Geschichte von der Ermordung Abels durch Kain überschreitet der Mensch die Grenze zum Mitmenschen. Er gönnt dem anderen nicht die Liebe und das Wohlwollen Gottes, er wird eifersüchtig, und diese Eifersucht ist für den anderen tödlich (vgl. Gen 4). Es kommt zu dem Teufelskreis von Schuld und Rache zwischen den Menschen (vgl. Gen 3.1 - 24)

In der stark mythisch geprägten Erzählung von der Vermählung von Menschen mit Göttersöhnen und der daraus hervorgehenden Geburt der "Helden der Vorzeit" kommt zum Ausdruck, dass der Mensch ganz allgemein das Maß des Menschlichen verliert; er überschreitet die Grenze zum Übermenschlichen, Heroischen, Heldenhaften. Die Folge  ist das Hereinbrechen des Chaos in der Sintflut (vgl. Gen 6) - In der Geschichte vorn Turmbau zu Babel schließlich überschreitet der Mensch seine Grenzen auch im kulturellen Bereich.  Die Folge ist ein Babel, d. h. ein Wirrsal, wo keiner keinen mehr versteht, die Völker sich auseinanderleben und oft genug gegeneinanderstehen und jeder vereinzelt und zerstreut leben muss (vgl. Gen 11).

 

Im Neuen Testament nimmt Paulus diese Erzählung auf. Dabei setzt er den ersten Adam in Beziehung zum zweiten, neuen Adam,  -Jesus Christus.

"Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten. Adam aber ist die Gestalt, die auf den Kommenden hinweist ... Sind durch die Übertretung des einen die vielen dem Tod anheimgefallen, so ist erst recht die Gnade Gottes und die Gabe, die durch die Gnadentat des einen Menschen Jesus Christus bewirkt worden ist, den vielen reichlich zuteil geworden ... Ist durch die Übertretung des einen der Tod zur Herrschaft gekommen, durch diesen einen, so werden erst recht alle, denen die Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit reichlich zuteil wurde, leben und herrschen durch den einen, Jesus Christus..." (Röm. 5,12.14.15.17)

 

Dieser Text geht über die Aussagen des Alten Testaments hinaus. Erst durch Jesus Christus wird uns nämlich die Universalität und Radikalität der Sünde erschlossen; erst er deckt uns unsere wahre Situation im Heil wie im Unheil auf. So wird jetzt ausdrücklich die Universalität der Sündenmacht, welche über die Menschheit als Todesmacht herrscht, festgestellt. Doch die Erkenntnis der Universalität der Sünde ist nur die negative Formulierung der Universalität des Heils in Jesus Christus. Weil wir wissen, dass uns in Jesus Christus das Heil für alle gegeben ist, können wir erkennen, dass außerhalb von Jesus Christus Unheil ist. Die Aussage von der Sünde hat also keine eigenständige Bedeutung. Sie veranschaulicht die Universalität und die Überschwänglichkeit des Heils, das Jesus Christus gebracht hat. Die heillose und hoffnungslose Situation der Menschheit ist umgriffen von der größeren Hoffnung und der Gewissheit, dass uns in Jesus Christus überreiches Heil geschenkt ist. Ja, das Heil in Christus überbietet die ursprüngliche Berufung und Gnade. 

Deshalb kann die Liturgie der Osternacht sogar von einer „felix culpa", einer glückseligen Schuld sprechen. 

Die Lehre des Alten und Neuen Testaments von der Universalität der Sünde welche in der kirchlichen Überlieferung in der Lehre von der Ursünde und von der Erbsünde entfaltet wurde, begegnet vielen Missverständnissen und bereitet heute vielen Christen keine geringen Schwierigkeiten. Eine erste Schwierigkeit besteht darin, dass heute viele Wissenschaftler annehmen, am Anfang der Menschheitsgeschichte stehe nicht nur ein einziges Menschenpaar (Monogenismus), das menschliche Leben habe sich im Prozess der Evolution vielmehr etwa gleichzeitig an mehreren Stellen herausgebildet (Polygenismus oder gar Polyphyletismus). Das kirchliche Lehramt vertrat demgegenüber die Überzeugung, es sei nicht ersichtlich, wie die letztere Meinung mit der Lehre von der Ur- und Erbsünde vereinbar sei. Die Lehre von dem einen am Anfang sehenden Menschenpaar will auch die Einheit und Gleichheit aller Menschen ausdrücken. Heute weist man freilich oft darauf hin, dass Adam im biblischen Sprachgebrauch nicht nur der Name eines einzelnen Menschen ist, sondern eine Kollektivbezeichnung für "den" Menschen und "die" Menschheit. Auch das 11. Vatikanische Konzil hat in dieser Frage eben sehr zurückhaltenden Standpunkt eingenommen. Es spricht davon, dass die Menschen "in Adam" gefallen sind, formuliert aber auch offener, indem es nur von "dem" Menschen und seiner Sünde spricht. 

 

Der Sinn der kirchlichen Lehre ist also gewahrt, wenn festgehalten  wird, dass die Menschheit, welche eine Einheit bildet, bereits an ihrem Anfang das Heilsangebot Gottes ausgeschlagen hat und dass die daraus resultierende heillose Situation eine universale Wirklichkeit ist, aus der sich keiner aus eigener Kraft befreien kann. Wird dies festgehalten, dann ist die Frage, ob Monogenismus oder Polygenismus, eine rein wissenschaftliche Frage, aber keine Frage des Glaubens. 

 

Schwieriger und zugleich weiterführend ist ein zweiter Ein­wand. Seine Beantwortung ermöglicht uns eine Hinführung und einen Zugang zum Verständnis der Erbsündenlehre. Das Wort Erbsünde scheint nämlich vielen ein Widerspruch in sich zu sein. Denn das Erbe ist etwas, das man ohne eigenes Ver­dienst durch Abstammung übernimmt, die Sünde dagegen ist eine persönliche Tat, für die man verantwortlich ist. Das scheint in ein Dilemma zu führen: Entweder ist der sündige Zustand durch ein Erbe übernommen, dann ist er keine Sünde; oder aber er ist Sünde, dann aber ist das Wort Erbe fehl am Platz. Die Schwierigkeiten lösen sich, wenn wir das individualistische Menschenbild, das hinter dem Einwand steht, aufgeben und uns auf die Solidarität aller Menschen besinnen: Keiner fängt ja jemals ganz von vorne an, keiner beginnt gleichsam am Punkt Null. Jeder ist zuinnerst durch seine eigene Lebensgeschichte, die Geschichte seiner Familie, seines Volkes, seiner Kultur, ja der ganzen Menschheit geprägt.

Da­bei findet er eine Situation vor, die durch Schuld bestimmt ist. Wir werden in eine Gesellschaft hineingeboren, in der Egois­mus, Vorurteile, Ungerechtigkeit, Unwahrhaftigkeit herrschen. Das prägt uns nicht nur im Sinn eines äußerlichen schlechten Beispiels, das bestimmt unsere Wirklichkeit. Denn keiner lebt für sich; alles, was wir sind, sind wir mit anderen zusammen. So wohnt die allgemeine Sündhaftigkeit allen inne; sie ist jedem zu eigen. Unsere Sünde wirkt wieder auf die anderen ein. Es gibt also ein Netz gemeinsamer Schuldverstrickung und einer allgemeinen Solidarität in der Sünde, aus der sich keiner lösen kann. 

Das gilt auch und gerade für die kleinen Kinder. Sie sind persönlich unschuldig; sie haben aber ihr Leben nur in Form der Teilhabe am Leben der Erwachsenen, besonders der Eltern; deshalb sind sie noch mehr als die Erwachsenen in deren Geschichte hineinverflochten. 

( Die allgemeine Situation der Heillosigkeit prägt und bestimmt jeden Menschen zutiefst in dem, was er ist, und in dem, was er tut. So verwirklicht sich der erbsündliche Zustand in Einzelsünden (Personsünden). In ihnen macht sich der Mensch die vorgegebene allgemeine Heillosigkeit zu eigen und sündigt sozusagen in sie hinein. Diese Verflechtung und dieses Ineinander von Personsünde und Erbsünde lässt sich nie ganz aufhellen. Da die Sünde die innere Logik der Welt  und des Menschen zerstört, hat sie immer etwas Widersprüchliches an sich. Ähnlich wie Gott und wie der Mensch und wie das Verhältnis Gott und Mensch, ist auch die Zerrüttung dieses Verhältnisses ein Geheimnis. 

Was ergibt sich daraus für das Verständnis der Erbsünde? Die Erbsünde besteht im Zustand allgemeiner Heillosigkeit des Menschen und der Menschheit. Die Herkunft des Menschen aus dem Generationszusammenhang kann seine wahre Zukunft, die Gemeinschaft mit Gott, nicht mehr vermitteln. So ermangelt der Mensch seiner wahren Erfüllung, der Heiligkeit und Gerechtigkeit, der Teilhabe am Leben Gottes.)

Die Folge der Entfremdung von Gott ist die Entfremdung des Menschen von der Welt, den Mitmenschen und von sich selbst, also der Verlust der paradiesischen Urstandsgaben. Der Apostel Paulus hat den inneren Zwiespalt, in den die Situation der Sünde führt, in bewegenden Worten beschrieben: ­"Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse ... Dann aber bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde ... Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will ... Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangenhält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. Ich unglücklicher Mensch!“ ( Röm  7,15.17-19.22-24)

 

Aus unserer Sicht und in unserem erleben gleicht diese gefallene Welt einem zerbrochenem Spiegel. Zeitweise erkennen und spüren wir, dass diese Welt noch etwas widerstrahlt von Seiner Herrlichkeit- doch sie verzerrt oft unser Gottesbild so sehr, dass es scheinbar nicht mehr zu erkennen, so undeutlich wird, dass es gar dämonische Züge annehmen kann und uns- den Menschen- statt Hoffnung und Vertrauen Angst und Schrecken einflößt. 

 

Deshalb sind wir, die Menschheit, bewusst oder unbewusst, wir alle auf der Suche nach einem eindeutigen und endgültigen Zeichen des Heils, das die vielen anderen Zeichen reinigt und zur Erfüllung bringt. In Jesus Christus, durch den alle Verheißungen in Erfüllung gegangen sind, finden wir den rechten Weg.

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